Zunächst galt die Arbeit mit dem Polaroid-Material als Proof: Geprüft wird anhand eines positiven Bildes aus einer nahezu gleichformatigen Kassette wie der des Films in der Großbildfotografie, ob die Belichtung stimmt, die Grauwerte und Härteskalen über die Bildfläche hinweg gleichmäßig und reproduzierbar verteilt sind, ob die Komposition der Mattscheibe einem Gegencheck auf Papier standhält. Bis zur endgültigen Einführung der digitalen Fotografie im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war dies die wichtigste Aufgabe des Polaroid-Materials: der Test. So hat auch HGEsch dieses Material eingesetzt. Und so lesen sich die Bilder zunächst wie eine Best-of-Kompilation dieses Fotografen, einem Bootleg des frühen Bob Dylan ebenbürtig, das man zu Zeiten des Plattenladens wie vor dem Internet aus irgendwelchen dunklen Kanälen zu beschaffen hatte. Die Romanischen Kirchen in Köln finden sich in Eschs Konvolut, vor allem in den beleuchtungstechnisch diffizilen Innenaufnahmen; zudem gibt es Jean Nouvels Berliner Kaufhaus Lafayette in mehreren Ansichten, die Erich Mendelsohns eigenem Blick auf sein Mossehaus verpflichtet sind – so wie es Nouvel gegenüber dem Meister der Moderne eben auch war. Aus Köln geht es mit HGEsch in die Welt, die Cities Unknown sind in vielen Bildern Motiv, auch die Bilder von City and Structure, dazu sauber gestaltete Büro- und Industriebauten von Gunter Henn, wie sie im Buch Commissioned Works zusammengefasst wurden. Seltenere Blicke gelten dem Seebad Prora von Clemens Klotz mit seinen kilometerlangen Fassaden. Insgesamt sind die Polaroid-Bilder mehr als nur Rückläufer aus der obersten Lage des künstlerischen Papierkorbs: Sie behaupten eine durchaus große Autonomie gegenüber anderen Bildprodukten desselben Fotografen, und sie behaupten dies kräftig.
Zum einen sind Polaroids – mehr als jedes andere Produkt der analogen Fotografie – mit dem akademischen Begriff der Studie im künstlerischen Werkprozess der Malerei oder mit dem des Bozzetto in der Skulptur gleichzusetzen: Von Darstellung und Komposition her stehen sie dem Endprodukt Gemälde oder Plastik sehr nahe, von der Materialität erscheinen sie weicher und fragiler. Zum anderen sind die hier gezeigten Polaroids mindestens zehn bis fünfzehn Jahre alt. Sie haben also eine eigene Geschichte hinter sich, sind in ihrer Materialität geheimnisvoll und auratisch. Die Alterung ist in die Bilder eingeschrieben.
Rolf Sachsse